OMA JOON جان




Meine Oma Joon (oma جان ; meine Seele, Liebling) ist voller Liebe. Sie steht immer hinter ihren Werten, hat Tradition und ist für mich ein Ebenbild von dem Land aus dem sie kommt. Dem Iran.
Doch der Iran ist nicht mehr der Traum im Orient, den Oma Joon ihre Heimat nennt. Denn das Regime wird von islamischen Gelehrten, genannt Mullahs, als Theokratie regiert. Und das seit 1979.

Deshalb musste sie mit ihrer Mama (māmān مامان), meinem Opa und ihren Kindern, meiner Mama Kiana und meinem Onkel Karli ihre Heimat verlassen. Denn der Schah, der bis dato das freie, sehr westlich orientierte Land regierte, wurde von den Mullahs gestürzt. Viele Iranerinnen und Iraner unterstützten den Revolutionsführer Khomeini anfangs, meine Familie nicht.



Von nun an galten kaum Frauenrechte, die Islamische Republik wurde ausgerufen und es herrschte der Erste Golfkrieg gegen den Irak. Sie sind also geflohen, über die Türkei nach Köln.







Bei Oma Joon zu Hause habe ich dieses Foto gefunden. Sie hat es aufgenommen. Es zeigt ihre Familie: Meinen Opa (der einzige Deutsche), rechts neben ihm, meinen damals 12-Jährigen Onkel Karli, der zur Front gemusst hätte, links neben ihm Maman, die bis zu ihrem Tod von Oma Joon gepflegt wurde, und unter Maman das kleine Mädchen - meine Mama mit 9. Und zwei weitere Familien, mit denen sie nach Köln geflohen sind. Es ist ihr erstes Nouruz in Deutschland. Persisch Neujahr, was zum Frühlingsanfang gefeiert wird, das erste Mal nicht zu Hause im Iran.




Es ist nicht das einzige Foto, welches ich aus dem kleinen schwarzen Lederkoffer - dem Familienarchiv - herausgefischt habe. Das Leben meiner Oma fasziniert mich. Ich fühle mich zu ihr sehr verbunden, denn sie verkörpert meine persische Identität, die ich in meinen Gesichtszügen im Spiegel oder mit dem Schreiben meines Namens jeden Tag spüre.




Die Fotos zeigen die glückliche Familie Meier-Moshiry zu Hause in Rasht am Kaspischen Meer. Oma Joon, ohne Tschador und mit kurzem Rock, wie aus einem Film der 70er entsprungen.

Meine Mama ist sehr traumatisiert von der Flucht vom Iran nach Deutschland. Auf dem Foto sieht man wie sie sich hinter ihrer Mama versteckt, das passt gut zu der Rolle, die Oma Joon während der Flucht ergriffen hat.




Zu Zeiten des Schahs ist Oma Joon wie eine persische Prinzessin aufgewachsen. Sie kommt aus gutem Elternhaus, lernte Instrumente (Bild unten links mit Akkordeon), Sprachen und sollte studieren (unten rechts im hellen Kleid). Untypisch für die Zeit, aber völlig im Zeitgeist der Verwestlichung des Irans.




Die Traditionen und die persische Lebenskultur, mit der Oma Joon aufgewachsen ist, beschreiben noch immer ihr Leben. Wenn man durch ihre Wohnungstür geht, tritt man in einen Mikrokosmos ein, in eine Paralelwelt, in den Iran. Das erste was den Blick fängt, ist das Meer an Perserteppichen, die antiken (Holz-)möbel, die Familienfotos, die auf allen denkbaren Ablagen stehen, Spiegel, Kronenleuchter, Stuck an den Decken und Wänden und der Geruch. Es riecht nach Gewürzen, nach persischem Essen. Nelken, Pfeffer, Koriander, Zimt, Majoran, Chili, Rosenblätter, Kardamom - es riecht einfach nach zu Hause.



Doch nicht nur die großen Möbel, wie die lange Tafel, an denen die ganze Familie unzählige Male Kabab, Lubia Polo, Mirza Ghasemi oder Fesenjan gegessen hat, oder die unzähligen Sitzgelegenheiten, auf denen sicherlich 30 Menschen Platz haben könnten, damit sich alle Gäste willkommen und heimisch fühlen, oder der Wintergarten. Wenn ich

hier sitze, blicke ich auf die Hügel, die Baden-Würtemberg und Hessen trennen, als wäre ich in Teheran umringt vom Elburs-Gebirge (البرز).




Doch was mich zusätzlich zum Geruch, den Möbeln und natürlich meiner Oma selbst so fühen lässt, als wäre ich auf der anderen Seite der Welt, sind die Details. Orientalische Muster so weit das Auge reicht. Ein königliches Tigerfell schmiegt sich neben Kissen voller Ornamente über der schwarzen Ledercouch. Halter mit dunkelgrünen langen stolzen Kerzen, stehen neben einem Silbertablett, auf dem später der Samowar brodeln wird. Antike Vasen, Figuren, Münzen und der wahrscheinlich wichtigste Gegenstand (sogar noch vor dem Reiskocher) im Leben meiner Oma, ihr Koran sind geschützt in einer Glasvitrine.
Alles darin gehört der Familie, seit Generationen. Familienerbstücke die an ein freies Leben im Wohlstand, ans Familienhaus am Kaspischen Meer an Kindheit, Eltern, Onkel, Cousinen, Tanten erinnern.




Ich stelle mir vor, wie Oma Joon das Tässchen aus dem Schrank nimmt und an ihre erste Tasse Schwarztee denkt, in den sie als Mädchen bestimmt viel zu viel Kandiszucker reingemacht hat, um ihn genießen zu können.












Ich denke, viele junge Menschen, deren Familie einen Migrationshintergrund hat, haben eine Oma Joon. Oma Joons haben all ihre Tradition, ihre Werte, ihr Hab und Gut, ihre Musik, ihre Sprache, ihre Fotos, ihre Rezepte aus einem Land mitgebracht, da sie einst verlassen mussten. Sei es durch Krieg, durch schlechte Lebensbedingungen oder den Wunsch, der Familie eine bessere Zukunft mit Bildung ermöglichen zu können. Umgeben von westlichen Werten und der Freiheit der Selbstbestimmung. Sie haben ihre Heimat verlassen. Schmerz und Heimweh sitzen tief in ihren Herzen. Deshalb wahren sie all die Traditionen, tanzen mit uns zu ihrer Musik, sprechen ihre Sprache, schenken uns Gewürze, Reiskocher und Schmuck. So traurig es auch klingt, sie wissen, dass sie eines Tages nicht mehr da sind und die Familientraditionen mit ihnen schwinden werden. Deshalb verkörpern sie für uns Identität, Heimat, Wurzeln. Sie geben uns das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, weil wir aus eben diesem Volk kommen. Sie vermitteln uns Ehre und Stolz. Doch durch alles Wertvolle, womit sie unsere Kindheit, unsere Jugend, unser Erwachsenwerden geprägt haben, leben sie für immer in uns weiter. Denn sie verkörpern unsere Wurzeln, die auch eine Flucht und eine Migration nicht durchtrennen können.


Contributor SHIRIN FRIEDHOFF