Was, wenn niemand antwortet?
Besuche der Kollektivunterkünfte im Kanton Zürich
Contributor JAN PHILIPP KÜNNE
Afternoon in our Zurich
Zürich gezeigt durch den Blick von geflüchteten Menschen

Auf dem Steg sitzend und zitternd, recken wir das Gesicht der Sonne entgegen. Die gedämpfte Herbstsonne wärmt uns, nach einem erfrischenden Sprung ins Wasser. Die Füsse baumeln über dem Wasser, das noch schöner glitzert als im Sommer. Davor ein angeregtes Volleyballspiel mit hoch, manchmal ins Out fliegenden Bällen, das den Nachmittag abgerundet hat. Ich verspüre Unbeschwertheit und vergesse kurz die Geschichten und Kontexte, die mich zu diesem Nachmittag brachten. Eine Gruppe junger Menschen, am Letten badend, mit einer scheinbaren Normalität in ihren Leben, doch die seriell gleichen Unterhosen lassen erahnen, dass sie striktere Regeln zu befolgen haben, und nicht frei ihre individuellen Bedürfnisse ausdrücken können.


Wir laufen alle der Limmat entlang zurück bis auf Höhe des Toni-Areals. Ich verabschiede mich von der Gruppe und laufe in das eminente, hochragende Toni hinein, die restlichen Menschen dieser Ausflugsgruppe warten auf den einschneidenden Ton, der sie ins Bundesasylzentrum hineinlässt. Wir spüren die Unterschiede, für die wir nichts können.
Die Menschen der Gruppe sind geflüchtet und beantragen Asyl oder sie erhielten bereits einen Status. Die Idee des Nachmittags ist ein Versuch, gegenseitig in Kontakt zu treten. Die Umgebungen erkunden, in Form eines Foto-Tour-Spaziergangs. Wir, 6 Wegwerfkameras und eine Gruppe von etwa 12 Menschen, schlendern durch den Kreis 5. Alle Fotos wurden von Menschen mit Migrationsgeschichte geschossen. Sie zeigen ihre Perspektive, ihren Fokus beim Spazieren und wie unterschiedlich, je nach Situation, eine Stadt wahrgenommen werden kann.
Eine Gruppe holte ich direkt im Bundesasylzentrum ab. Am Mittag haben wir kurz Werbung gemacht, danach waren kurzerhand einige Leute motiviert, mitzumachen. Die Gruppe versammelte sich im Innenhof, was noch mehr Menschen neugierig machte. Bis alle parat, und nachdem alle Ausweise eingesammelt waren und wir die beim Sicherheitscheck abgeben konnten, gingen wir los. Dabei waren vor allem junge, minderjährige, männlich-gelesene Personen, die laut Auskunft oftmals allein vorgeschickt werden, um später die Familie in das Ankunftsland nachzuholen. Sie werden als UMA bezeichnet, also unbegleitete Kinder im Asylverfahren. Die analoge Wegwerfkamera war schnell erklärt und es knipsten alle wild drauf los.


Wir liefen Richtung Schiffbau, wo noch weitere Menschen warteten, die unter anderem von der autonomen Schule kamen. Leider war es ein bisschen chaotisch, weshalb ich nicht auf alle gleich eingehen konnte. Wir liefen los Richtung Zentralwäscherei, Josefswiese, Röntgenplatz, Langstrasse und dann zum Letten. Einige Leute aus der Ukraine und eine Gruppe an Menschen, die spanisch sprachen, lösten sich bald. Dann waren wir noch eine kleinere Gruppe, mit Leuten, die fast alle aus dem Bundesasylzentrum waren.
Eine Situation blieb mir hängen, als wir entschieden, ob wir Richtung Bahnhof oder Letten gehen möchten. Eine Person übersetzte mir mit Google Translate, dass sie zum Meer aufs Boot möchten. Ich schluckte leer und realisierte, dass sie wohl den Zürichsee meinten. Ich spürte auch eine gewisse Anspannung, als die Polizei mehrmals, auch während dem Volleyballspiel, an uns vorbeifuhr.

“You no yesterday and today has been the best day for me since I enter Switzerland
Because of the time and interaction
That really made my days.“
- Person that participated

Trotz Sprachbarriere braucht es nicht viel, um solche Räume der Teilhabe zu ermöglichen. Kurz wieder mal seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden, mich zu fragen, ob ich die teilen, wenn nicht sogar teilweise abgeben kann. Ich wünschte mir, dass mehr Schweizer*innen den Kontakt suchen und realisieren, wie wichtig «Alltäglichkeits»-Gefühle für geflüchtete Menschen sein können. Sich solidarisch den geflüchteten Menschen gegenüber zu verhalten und aktiv Menschen deinen Raum und deine Zeit zu geben, kann individuell grosse Unterschiede machen, wenn das Gefühl entsteht, wahrgenommen, akzeptiert und ernst genommen zu werden.
Im Austausch, sagte mir eine Person, wie wertvoll es sei, einfach nur schon herauszugehen, zu spazieren, den Kopf zu befreien von allen Ängsten. An etwas anderes denken, neue Eindrücke zu sammeln und nicht in eine Spirale im Kopf zu fallen. Vor allem auch den Asylzentren zu entkommen. Die Energien, die sich dort auf extrem engem Raum anstauen, sind eine psychische Belastung. Die Person erzählt mir auch von den klaren Unterschieden zwischen den Asylzentren, wenn eine Person versetzt wird. Von Embrach hatte die Person sehr positiv gestimmt erzählt, während es in Brugg AG nicht erträglich wäre.

Auf individueller, wie auch auf demokratischer, auf politischer Ebene müssen sich die Missstände und die strukturelle Gewalt, die in den Gesetzen zementiert ist, verändern. Aber die Wahlen am 22. Oktober lassen einen anderen Geist von rechts, von bürgerlichen, wirtschaftsorientierten Seiten durchscheinen und beunruhigen mich sehr. Verschärfte Migrationspolitik hat bei einigen Parteien hohe Priorität, um unseren Schweizer Wohlstand und unsere Sicherheit zu wahren und in keinem Fall die Einwanderungsrealität anerkennen. Das Hauptnarrativ der SVP ist Sicherheit. Was nach der Pandemie und mit den jetzigen Kriegen viele Menschen anspricht. Die SVP wirft mit populistischen, simplistischen, irrationalen Emotionen, Gefahren, absolut dystopischen Bedrohungs-Szenarien um sich; „10 Milllionen Schweiz und Asylchaos.“ Sie wollen zurück dahin, wie „die Schweiz immer schon war“, und bestärken das „Wir-Gefühl“. Weil „Wir“ Angst haben vor den anderen da draussen. Die SVP stellt das Innen und Aussen drastisch gegeneinander. Mit Feindbildern soll Wut geschürt werden.
Flüchtlinge werden in politischen Debatten und in bestimmten Medien auf Unmenschen reduziert, die NZZ schreibt: „Denn wenn die Mütter und Ehefrauen ihre Söhne und Gatten zu sich in die Schweiz holen könnten, erhöhe sich nicht nur der Druck auf das Asyl- und Sozialsystem, sondern im Fall von Afghanistan auch die potenzielle Terrorgefahr.“
Aber wir sind momentan in keiner gefährlichen Lage und deswegen sagte Elisabeth Baume-Schneider: «Systematische Kontrollen an den Binnengrenzen dürfen nur eingeführt werden, wenn eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit vorliegt. In einer solchen Situation sind wir nicht.»
Die Thematik ist vielschichtiger und komplexer, als dass wir ernsthaft nur „schwarz-weiss“ denken könnten. Es ist leider der einfachere Weg, und deswegen funktioniert es.

„Statt auf temporäre Hilfsmassnahmen wie Container-Dörfer in Militäranlagen zu setzen, solle der Bundesrat erst seine Planungsarbeit erledigen“, schrieb die NZZ.
Leider warten die Krisen nicht auf das Schneckentempo des Bundesrates und die ewigen Hürden des Parlaments. Migration passiert und es muss jetzt Unterkünfte und Lösungen geben, die sicher nicht unterirdische Bunker sind.
Im Aargau schrieb eine Person auf den Werbungszettel diese politischen Ziele: «Asylunwesen; Asylanten an der Grenze stoppen. Unterbringung in Industriebrachen/Containern am Dorfrand. Familiennachzug blockieren, kein Verteilschlüssel mit EU.»
Und das für Menschen, welche traumatische Geschichten und gefährliche Fluchten erlebt haben und hier ankommen, in der Hoffnung auf Neuanfänge, dann aber abgeschoben und an den Rand gedrängt werden? Ist das ein menschenwürdiges Dasein?
Auch die Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider wird kritisiert. Sie wird für menschenwürdige Aussagen in der NZZ kritisiert, weil sie sagte: «Wir können die Menschen nicht einfach irgendwo deponieren». Die NZZ meint hier: „Sie wirkt mehr wie die Erste Sozialarbeiterin im Staat als ein Mitglied der Landesregierung.“
Ich bin froh, wenn mit Menschen gesprochen wird, die auch mit geflüchteten Menschen zusammenarbeiten. Der direkte, gleichwertige Austausch wird nämlich kaum gesucht. Migration sollte nie ein einseitiger Prozess sein und bleiben.

Menschen bringen ihre Kulturen, Traditionen, ihr Wissen, ihre Erziehung, ihre Wünsche und auch ihre Träume und Sorgen mit. Migration ist ein Sprung ins Ungewisse und bedeutet sich ständig konfrontieren zu müssen. Das Wort Integration ist konnotiert mit Erwartungshaltungen und einem Druck der Gesellschaft, sich zu assimilieren. Menschen sind aber Subjekte und nicht zu integrierende Objekte.

Manchmal frage ich mich auch, woran sich die Menschen spezifisch in der Schweiz anpassen sollen. An Verschlossenheit, verhaltene Höflichkeit und die ach so wichtige Pünktlichkeit? Vor allem hat sich das Land immer schon verändert, und es gibt schon lange keinen traditionellen Kern mehr, an dem wir uns festklammern müssen. Es wird zeit, dass die Schweizer Gesellschaft an diesem Punkt ihre kulturellen Vorstellungen hinterfragt.
Jede Person soll selbst entscheiden dürfen, wie viel von einer neuen Kultur sie persönlich adaptieren, mit ihrer vermischen, erlernen oder ablehnen möchte. Auch wie viel Präsenz den mitgebrachten Erfahrungen zukommen soll.


Was wäre, wenn Integration Entwicklung, Wachsen, Reflektieren, Offenheit und gegenseitige Bereicherung bedeuten würde? Was wäre, wenn Integration ein Prozess des gegenseitigen kollektiven Lernens ist, mit einer offenen Fehlerkultur, der Begleitung von Migrant:innen und der Lust, zusammen zu lernen und für alle Safer Spaces im Aufnahmeland zu schaffen.


Vielleicht können wir es auch eher Partizipation anstatt Integration nennen, weil wir schlussendlich nur zusammen vorwärtskommen. Wir sollten ein interkulturelles Denken fördern, was uns alle bereichert und unseren eigenen «Schweizer» Horizont um Meilen erweitert. Denn alle Migrant*innen bringen einen Rucksack mit ganz individuellen und persönlichen Geschichten, Werten und Erfahrungen mit. Lernen wir unsere Widersprüche, Unterschiede und Gemeinsamkeiten kennen. Wörter wie Zusammenhalt stärken, Gemeinsinn, Zugehörigkeit, Mitgliedschaften, Verbundenheit sollten unser Vokabular prägen.


Bei allen Fotos wurde mit Absicht kein Gesicht gezeigt und es werden keine Namen erwähnt. Die Menschen haben sich mit Freude gegenseitig fotografiert oder Selfies gemacht. Wegen limiterter Zeit, konnte keine Einwilligung mehr geholt werden. Ich bin sehr dankbar für die wertvollen Begnungen und Momente.
Ich danke den anonymen Fotograf*innen.
Inspirert wurde die Arbeit von der Arbeit «i saw the air fly” von
Sirkhane DARKROOM
Contributor JOANA FELICIA HIRT
Bereit zur Landung
Teil 1: Erfahrungen und Geschichten aus dem Asylzentrum im Flughafen Zürich.
Flughäfen sind ein Sinnbild für Mobilität, Tore in die Welt aus Glas und Stahl. Seit dem Bau des ersten kommerziellen Flughafens 1922 in Königsberg hat sich das Erscheinungsbild und die Funktion dieses Stücks Verkehrsinfrastruktur stark gewandelt. Selten wirkt ein Flughafen auf jene, die in seinen glänzenden Hallen warten müssen, alt. Flughäfen stehen seit jeher für das Neue. Sie sind daher auch von Grund auf provisorische Orte, deren Lebenszeit im Vergleich zu anderen Bauten der Moderne sehr beschränkt ist, da sie stets erweitert und umgebaut werden müssen, um den Anforderungen einer schnell wachsenden Flugindustrie zu genügen. Mich interessiert der Flughafen als Raum dazwischen. Zum einen auf der symbolischen Ebene, im Spannungsfeld zwischen Gegenwart und Zukunft, dem Hier und einer fernen Destination. Zum anderen auf der realen Ebene, als Aussengrenze mitten in der Stadt, wo täglich Menschen anhand von ihren Dokumenten und Reisegründen sortiert werden. So verkörpern sie nicht bloss eine neutrale und universelle Form von Mobilität, sondern eine sehr ungleiche Mobilität, welche stark abhängig ist von der Herkunft und Situation einer Person.
Die folgenden Gespräche versuchen einen kleinen Eindruck von der Vielfalt an marginalisierten Formen der Mobilität, die an Flughäfen zusammenkommen, zu vermitteln. Es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit, vielmehr sind sie eine Einladung, sich mit den Widersprüchlichkeiten und Lücken vertraut zu machen, sie gehören unweigerlich zu Geschichten von Flucht und Migration dazu. Sind nicht alle unsere Geschichten wie Pfade durch eine breite Landschaft, einige verlaufen gerade und andere schlängeln sich an einem Hang empor. Einige werden in ihrem Verlauf von Grenzen durchschnitten und andere verbinden zwei benachbarte Dörfer. Ich selbst teile auch eine Verbindung mit dem Flughafen Zürich. Eine biografische, denn meine Familie ist von dort aus in ein neues Leben in Chile aufgebrochen, und eine funktionale Verbindung, durch meine Arbeit als Aushilfe in einem der Cafés hinter der Sicherheitskontrolle. So habe ich Victoria und Zaher kennengelernt und dank meines Zugangs zum Transitbereich konnte ich Filmon im Asylzentrum am Flughafen besuchen. Zusammen mit der Geschichte Shannets ergibt ein buntes Bild von diesem Ort, wo auf engem Raum ein Kaleidoskop von unterschiedlichen und sehr ungleichen Realitäten existiert. Farben und Schatten entstehen, wenn individuelle Schicksale auf die scharfen Kanten von Gesetzen und gesellschaftlichen Strukturen treffen.
DAS FLUGHAFENVERFAHREN
Ganz versteckt hinter einer unscheinbaren Tür befindet sich das Asylzentrum im Flughafen Zürich. An diesem Ort werden Menschen untergebracht, welche nach ihrer Ankunft bei der Flughafenpolizei Asyl beantragen. Dies kann sehr formlos geschehen, eine Person muss lediglich den Wunsch äussern, in der Schweiz Schutz suchen zu wollen. Anschliessend werden die Schutzsuchenden zum Asylzentrum gebracht, wo sie von den Betreuenden der Asyl Organisation Zürich empfangen werden. Die ersten zwei Tage dienen zur Identifizierung der Personen, welche durch die Flughafenpolizei durchgeführt wird. Dabei werden die Fingerabdrücke und das Gesicht erfasst und mit EU-Datenbanken abgeglichen.
Ist die Identität der Person geklärt und ist sie bei den Behörden registriert, bekommt sie eine Rechtsvertretung zugewiesen und wird von einer Gesundheitsfachperson zu ihrem Gesundheitszustand befragt. Die Rechtsvertretung informiert den*ie Gesuchsteller*in über den Ablauf des Verfahrens, was sie oder ihn bei der Befragung erwartet und was für Rechte sie oder er besitzt. Ab diesem Punkt dürfen maximal 20 Tage vergehen, bis der erste Entscheid über das Gesuch vorliegt. Danach haben die Gesuchstellenden 5 Tage Rekursfrist, um vor dem Bundes Verwaltungsgericht eine neue Beurteilung ihres Gesuches zu fordern. Wurde nach 60 Tagen seit dem Eintritt in das Asylzentrum noch kein endgültiger Entscheid getroffen, kann die Person vorläufig in die Schweiz einreisen. Die Schutzquote am Flughafen, schätzt ein Betreuer, liegt bei ca. 30%, die anderen Antragsteller*innen werden entweder in ein anderen Schengen Staat zurückgeführt oder direkt in das Herkunftsland ausgeschafft.
SHANNET
Ich treffe Shannet bei ihrem Zuhause in Zürich. Sie wohnt in einem mehrstöckigen Einfamilienhaus zusammen mit anderen Migrant*innen. Das Quartier scheint mir ruhig, als ich aber Shannet darauf anspreche, lacht sie nur: ganz im Gegenteil! Shannet empfängt mich bei der Haustür und führt mich zu ihrem Zimmer in einem oberen Stock. Im Zimmer befindet sich auf der einen Seite ein Bett, in der Mitte ein Tisch und auf der anderen Seite eine braune Ledercouch neben einem roten Plüschsessel. Shannet macht es sich im Sessel bequem und zündet sich einen Joint an, während ich mich mit meinem Notizblock und dem Telefon einrichte.
Als ich die Aufnahme auf meinem Telefon starte, sprechen wir bereits über Heimweh. Wir sprechen über unsere Sehnsucht nach den bekannten Dingen, das Essen, die Musik, das Wetter. Shannet graut es vor dem Winter und sie schwärmt von der Tropischen Wärme Jamaicas. Ich merke hingegen, dass ich wehmütig werde, wenn mir der Herbstwind ins Gesicht weht. Es erinnert mich an den Wind, der zu jeder Jahreszeit durch die Strassen der Stadt wehte, wo ich im Süden Chiles aufwuchs. Wir sind schon mitten im Thema, meine anfängliche Nervosität ist bereits verflogen, als ich die erste Frage stelle.

When did you come to Switzerland?
On November 29 in 2019. It was cold. I remember our plane landed here at 1:30 am, and I was looking outside, I was in flip flops and a little tiny sweater. Then we had to walk from the plane to the airport. I thought, what the fuck did I do by coming here? But I think I'm kind of getting used to it. But I still feel like I'm not getting used to it at the same time.
Was Switzerland your destination or did you just have layover her
I wanted to freestyle around the world a bit. I first went to Panama. I spent like three hours there and got bored, so I went to Cuba the same day and spent two weeks there. Then I went to Tel Aviv in Israel for one month. I was supposed to transit from Switzerland to go back to Jamaica.
I was in the plane from Tel Aviv to Switzerland. I don't know, something just said, don't go back home. I didn’t know nobody here. I didn’t know nothing. Something said, don't go back home. Stay in Switzerland, and I was like, Switzerland? I remember I went into the bathroom at about 1:00 in the night, and I tore up all my fucking itineraries to go back home. I tore up everything, flushing the toilet, and I was going to rip the passport, but something said, you know what, in case anything happens, I can go back home.
I was nervous when my plane landed, because I didn’t know what to expect. I remember when I reached the airport, I was at this little place looking out, and I started to cry. I thought, what the fuck am I doing? But it felt right, you know? And then I remember that I saw a man with “security” written on his back in German. I stopped him and asked, where I could find the airport police, he said, I had to take the train to the other side of the airport and stuff. I saw everybody going into this train and I went in too. I saw it stop, everybody going out, and I went out, too. I saw a group of policemen and I told them that I don't want to go back to my country, because it's not safe for me there, because in my country it's one thing when you are gay, but when you're trans, it's a whole different line.
The police took my passport, and I remember they brought me into this room. They did the stuff to see if you're running from your country, if you murdered somebody, you know, they have to do these checks. They didn't see anything. They asked me, why do I have so much money and this and that. I told them that I'm gay and they didn't believe me, because I came here as a boy, and I think they were expecting to see this (pointing to herself) and these gestures of gay people, you know. It was when they searched my phone and my laptop, when they saw pictures of me in dresses and all of that. I said, where I'm coming from, I can't dress how I want. I can’t be myself.
Then they took me up to this asylum center. It was really nice. It wasn't awful, being honest. It was more like a little Airbnb situation in the airport. You have people there who take care of you, sleep overnight, make sure everybody's okay. Food is always there and stuff. When you have your interview with immigrations, they take you there and tell you before, so you can prepare your mind. They were really nice. I think the only thing that I didn't like was when it was time for me to leave, to go to the place to register. I didn’t know English; I didn’t know German. They just gave me this map and a ticket and said, find this place. I never liked that part.
I didn’t know shit, you know? It was this lady that I saw and asked, if she could help me find this place. She was an air hostess, and she was on holiday, so she was just coming home. She called her husband and said, hey, somebody needs help and I need to help them, so I'll be late. She brought me right where I was supposed to go. Wow. I'll never forget that. If it wasn't for her, I wouldn't know what to do or where to go. After I registered to this place, they placed me in a center in Oerlikon at Regensbergstrasse.
So, you took the decision to stay in Switzerland while you were on the plane?
Yes. I just made that decision on my own right there. When I have a gut feeling, even when it looks stupid, I go with it. I came here and it was very new for me. I was still scared of getting attacked. I used to walk with knives when I went out and stuff like that, because I still was paranoid. I didn't even know that transitioning was possible for me. When I saw the opportunity, I just took it, because that's how I wanted to be, you know? I'm happy here. I feel safe. But on the other hand, you feel empty, you know, like nothing around you is familiar. You have to learn everything on your own and all these things. But I got to meet some really great people. Sometimes I feel like they were here waiting for me.
It also was very abrupt. You didn't have time to say goodbye.
I didn't even understand it then, because my parents are diplomats. I remember they said to me that I was gonna need a lawyer to represent me and my case. I said, okay, no problem. What I didn't know at the time was that, when they sent in my fingerprints my mom got a call immediately. I've recently heard this from her. I thought I did everything on my own. She told me that when she got the call, she was about to get in a plane to come for me, but my dad said, let him stay. If he doesn't want to come back, leave him alone. We’ll just keep an eye on him from here. I remember a lawyer came one Wednesday morning and said that she would represent me, that she would come back and talk to me. So, when that day came, another lawyer came. I thought they switched the lawyers, but I didn't know that my mom was the one who provided that lawyer for me.
How long did you stay at the airport?
I arrived on the 29th of November, and I came out the day before Christmas Eve. The interviews were very intense. They want to know when you came out to your mother, and you have to dig up a lot of shit. I had to take breaks because I kept breaking down, but I had to get all that out. They heard my story, but what kind of made everything believable was what happened to my brother. He got attacked in Jamaica. Now he lives in Spain. They stabbed him 98 times. That news was all over the world at the time. I was telling that story, and the immigration officer turned around the computer and said, is this you in this photo with your brother? I said, yes. How did they find that? How the fuck did they find it so quick? I didn't even finish the story! I think I kind of sealed a deal with them then.
Police came in the asylum center every day for people, a lot of people went home. I remember this one guy there, he’s from Cuba, and we became really close. I remember the day when I was leaving, it was the day when they were going to put him in a plane to go back to Cuba, and we were crying. I wish he had gotten through; you know? But if your life is not threatened, they don't give you a positive answer. So, for me, probably because my life was in more of a danger I got a positive answer, I don't know. It was hard to see some people leave.
What were your days at the airport like?
Oh, I wanted fresh air. I remember they had a balcony that we could have gone to, but at that time they were working on it. I wanted to breathe so bad. It's like I'm dying. I asked my lawyer, is it okay if you take me outside a little bit, but when she opened the window I said, close it back! I don't want to go. That wind hit me, and she said, welcome to Switzerland. It was crazy. I was glad when I came out.
How old were you when you came here?
I was 29. I spent my 30th birthday here. They kept a birthday party for me in the asylum center with cake and everything. It was really nice. I never expected it. I don't know how it is there now, but when I was there, they had nice people working there.
How was life after the airport?
It was new. It was fun. I was excited, but at the same time sad. I remember when I was at the airport, a guy who was taking care of us told me that two Jamaicans had just left the week before. And I'm like, really? Do you know their names? He said, Jaffar. I said, that's Latina, and then he said another name and I knew both. I said, when I leave, can you send me to the camp where Latina is? And that's how me and Latina reconnected, because we have been friends for 15 years or more. We know each other from when we were ten years old boys.
I didn't know she was here. I went to the center, and I saw her. That made me feel comfortable, because at least I had somebody who I knew and who could show me around. If it weren't for her, I probably wouldn't have been so open at that time. I wanted to go to the city, but I didn't want to take the train. I'd never taken a public transport in my life before. I've never gone to a public school before. I took myself out of that bubble. And because I wanted my own life and everything, I was willing to do whatever it takes. Yeah, I miss my family and all of that, but I'm kind of glad that I did what I did, because if I never did what I did, we wouldn’t have gotten as close as we are now.
How has your relationship to your parents changed?
Now it's better. I didn't tell anybody that I was transitioning. They didn't think that I would really go and do it. One day my mom was calling me, and I had makeup on. I'm like, Jesus, what am I supposed to do. I was wondering, should I take it off, and answer the phone, but at the end I just answered the phone. She said look, if you're going to do this, you better do it correctly, and she sent me a ton of clothes. I think she got to know me more now. I feel closer to her now because I don't have to hide. I don't have to pretend. I guess her knowing this side of me kind of brought us closer. I know it's not what she wanted for me, but she respects me and that's all I want.
I had everything I wanted. But when I became myself, it's like I lost everybody. Even though I still had a roof over my head, when this side of me started to come out, I felt abandoned, because nobody liked that side of me. You know? So, it was really hard. I just woke up one day and I said to myself, you know what? Fuck it. It's like I need to be myself. And when I saw this opportunity to leave, even though it wasn't planned and stuff, I would say this is my greatest accomplishment. I get to be myself.
I hate feeling like I'm stuck. Everybody's moving on and growing and I can't be myself. They brought me to so many shrinks, so many psychologists. They spent so much money trying to fix me, trying to take the gay out and whatever was there. But the more I grew, the more this personality just wanted to get the fuck out. I just couldn't. I was willing to lose everybody, just to be myself. I was willing to do that because I didn't give a fuck who wants me to be happy or who wants to not talk to me again. Sorry, but I need to be me.

And how was it being a child of diplomats?
My mom had us followed all the time. Especially me, because deep down my mom knew that I was gay. I reached a point where I hated my mom. I couldn't stomach her. It was just always, be a man, this and that. I was supposed to get married when I was 19. And I said, mom, I can't do it. I'm gay. She was like, do it until you get used to it and continue to do it again until you get used to it. I just stepped out of the fucking church. I said, I'm not going to do this. I couldn't do that, you know? I explained to the girl, and she understood. We’re friends and she's happily married now. I even planned her wedding.
It's great to have people like that.
Yeah, it's nice. But being here, it's kind of growing me up. I've never lived with strangers before. I'm not used to living with people outside the family, but I like the thing that everybody here is from a different culture. You learn from each other; you can share things. You know, sometimes I miss the accessibility that I used to have, but I'm happier now. I would say I may not have all the things that I used to, but I'm happy. I'm contented with myself.
One of the reasons why I left my hometown in the south of Chile also was because, there was no community in my city. It's a small city, in a very rural part of the country. And I wouldn't say it was extremely dangerous for people to be queer and out there, but it just was not a thing, like, people were invisible.
In Jamaica they shoot you. To show you how bad it is. When you want to go outside, you have to make sure the road is fucking clear, because you will be outside, and you just see men coming from all angles with guns. You know how many times I've been shot? I still have a bullet in my leg. I've seen many friends shot or get slashed in front of me and all these things.
I remember in 2020, I had a bad breakdown, because I wasn't in Jamaica anymore. When I was there, I was in survival mode, and then, when I started living here and started settling, all those things that happened before started filtering. I would wake up screaming at the airport many times. It's like I was seeing everything vivid as daylight again in my head, replaying and replaying. I didn't want to go outside. I didn't want to go to school. Latina asked me, girl, what the fuck is wrong with you? Crying every day and stuff. I couldn't stop the tears from coming. I needed to go and get help, because when I'm like this, I don't trust myself. In Jamaica, you'll see people dying in front of you last night and you just move on in the morning. It's like nothing happened. I still struggle with flashbacks, but every time I feel that coming, I go out of the house to change the mood. I mean, I still have bad days, I have good days, but I would say it's better now.
You made a film about your story. What was that like, being so public about your story?
I don't know. I just wanted to get a message out that it doesn't matter where you're coming from, you can't let the past make you stay in one place, you know? But filming it, the part that I had to struggle to bring out in the film was the part when I got raped, and I had to bring myself back to that day to bring that thing out in front of the camera. So, I told them, listen, if you see me crying and stuff, don't stop. Just let the camera go. Don't stop. I want it to be as real as possible.
It got premiered at the Locarno Film Festival in August and now it's on a little tour. I did it for Urša, because it was her last year at art school, and they had to make a film. We never expected we would go to places. I just did it because she is my friend. She's done a lot for me. I said, use my story and make your movie. And it won the bachelor's degree award.
That's really cool. So happy that it is such a success.
I just never expected that. I remember it was a Friday, I was coming home from school, and I got this email and it said, your movie has been selected out of all of Zurich, I'm the only one who got picked, from all the movies. And when I got the email for Locarno, I don't know, I saw the email and then my heart started to beat. I said to Urša, look at your email! And then we started screaming on the phone. I couldn't believe it. I used something terrible and turned it into something positive, you know? So that for me was good. And I'm happy that people like it, too.
You said you're going to school. What are you doing?
Um, this German course. I tried to start back, because I want to start working soon at Check Point.
Cool.
Yeah. I'm a nurse. I was a nurse back in my country for eight years. When it comes to the work, I thought transitioning would make life easier. Well, it's the opposite. I really thought when I transitioned, people would get it, but I just feel like it's worse. Once you're trans and you want to get a job, it's a thing. That scares me. I see how they deal with Latina at this place because she's trans. They don't want her using the girl’s bathroom, because this and that and blah, blah, blah. And these things scare me, you know? And I know me. It's like you just say something the wrong day, and I react. That's why I smoke so fucking much, to keep me calm, to be honest. Because when I smoke, I don't react. Those situations scare me. Me and Urša would be walking on the road and people would just stare. I can't stop people from staring, but don't make it so obvious. Bitch, I'm looking at you. It's crazy.
Since when did you feel that you were living, that you had arrived in Switzerland?
When I met my friends. When I met Urša. She was the first friend I had. Since I've met her, I started feeling relaxed and okay. I think if I'd never met these people, I would have probably gone back home. They're like kind of family. But It's not easy to make friends here.
No.
When you do meet good people, you try to keep them around. I had so many fucking friends in Jamaica and all they did is take. Here, if they see that I need to deal with something, they kind of know and they help me. I don't have to ask, you know? It's like it's a different level of friendship. This feels more meaningful than the friendships that I had back home.
Have you ever been back since you came here?
No, my family doesn't live in Jamaica. I was the reason why they always came back to visit. I was working in Jamaica, so they always came to keep an eye on me. Now that no one of their kids is in Jamaica anymore, they don't need to be there.
I feel like I have the confidence to go back home. Knowing the country, the history of it, you want to go back. But Jamaican people are not predictable, that's the thing. If I would go to Jamaica, I know where to go and where not to go. I feel confident that I could go back now, because I look nothing like I used to look like. Not even a spitting image of what I used to look like. Nothing. [End of the recording]

Das ist die letzte Frage. Danach sprechen wir noch weiter über unsere Transitionen, übers Trans-Sein, über verschiedene Hormonpräparate. Es tut gut, mit einer Transperson zu sprechen, die schon ein bisschen weiter ist in ihrem Prozess als ich. So unterschiedlich unsere Geschichten sein mögen, konnte ich mich in gewissen Elementen wiedererkennen. Unsere Verabschiedung ist herzlich, ich verlasse ihr Haus und denke über Shannet und ihre Geschichte nach, als ich in Richtung Tramhaltestelle laufe. Ich bin hoffnungsvoll und erschüttert. Unser Gespräch hat meine Sicht auf das Asylzentrum im Flughafen wieder geöffnet, ich blicke nun meinem Besuch dort in ein paar Tagen erwartungsvoll, jedoch ohne genaue Vorstellungen entgegen.
FILMON
Sergio, der Betreuer des Asylzentrums, öffnet uns die Tür zu einem fensterlosen Raum. Drin steht ein Schreibtisch, dahinter ein Bürostuhl mit hoher Lehne, und davor zwei niedrigere Freischwinger. Filmon zögert kurz, bevor er sich auf einen der Freischwinger setzt, ich tue es ihm gleich. Wir nehmen beide als erstes einen Schluck Wasser aus den Mehrwegbechern, die uns Sergio gebracht hat – Sicherheit geht vor.
Sergio hat mir im Vorfeld noch gesagt, dass Filmon zuerst nicht sicher war, ob er mit mir sprechen möchte. Seine Geschichte sei nicht so wie die von anderen Menschen, die Geflüchtet sind – ich frage mich, ob es überhaupt die eine Fluchtgeschichte oder die eine Migrationsgeschichte gibt. Wie viel ist Schicksal und wie viel ist System? Zum Glück kann Sergio Filmon erklären, dass es genau darum geht, um seine ganz individuelle Geschichte. Dennoch bleiben gewisse Fragen offen, ist es z.B. für Filmon sicher, offen über seinen Weg zu sprechen? Aus diesem Grund ist Filmon ein Pseudonym und das Gespräch aus meinen Notizen rekonstruiert, anstatt aufgezeichnet.

Filmon heisst eigentlich meines Gesprächspartners bester Freund aus Eritrea, der jetzt in Äthiopien ist. Der Vater dieses Freundes lebt in Norwegen und hat ihnen das Geld geschickt für ihre Entlassung aus dem Gefängnis im Sudan. Nach der Freilassung sind sie zusammen zurück nach Äthiopien, von wo aus Filmon in die Schweiz geflogen ist. Nun wartet er seit 18 Tagen auf einen Entscheid. Dies ist jedoch nicht sein erstes Mal in der Schweiz, bereits 2015 hatte er einen Asylantrag gestellt. Jenes Mal kam er über das Mittelmeer. Zuerst aus Eritrea in den Sudan, vom Sudan nach Libyen, von dort aus übers Meer nach Italien und schliesslich bei Chiasso in die Schweiz.
Auf meine Frage nach seinen ersten Eindrücken von der Schweiz antwortet er, es seien viel zu viele gewesen. Er hat damals im Asylzentrum viele Leute aus den verschiedensten Ländern kennengelernt. Hätte er diese Leute nicht getroffen, wüsste er heute, nicht wie es in Afghanistan oder in Sri Lanka ist. Als ich ihn jedoch nach seiner bisherigen Zeit am Flughafen frage, sagt er, dass es sehr langweilig ist. Er fühlt sich wie im Gefängnis, ohne viele Beschäftigungsmöglichkeiten, ohne freien Zugang zur frischen Luft und ohne Kontakt zu seiner Mutter. Die gesamte Situation ist sehr stressig, da er das gesamte Asylverfahren erneut durchlaufen muss, alles, weil seine Papiere während seiner Abwesenheit abgelaufen sind. Tagsüber schläft er und nachts kreisen in ihm die Gedanken.
Als er das erste Mal den Flüchtlingsstatus in der Schweiz erhielt, kam er nach Zug. Dort fing er 2017 in einem Restaurant an zu arbeiten und konnte ein Jahr später in eine Privatwohnung ziehen. Zwischendurch war er kurz arbeitslos und begann danach bei V-Zug in der Produktion zu arbeiten. Zuerst lackierte er an einer Maschine Türen für Waschmaschinen, später montierte er Mikrowellen. Er habe gehofft nach seiner Rückkehr weiter bei V-Zug zu arbeiten, nun ist fast ein halbes Jahr vergangen seit seiner Abreise und seine Zukunft ist sehr ungewiss. Ich frage mehr über seine Arbeit und seine erste Zeit in der Schweiz, doch Filmon lehnt ab, er habe viel vergessen, vor allem während seiner Zeit in Gefangenschaft.
Ende April ist Filmon nach Addis Abeba geflogen und von dort aus in den Sudan, wo er seine kranke Mutter treffen wollte. Seine Mutter ist 2019 schwer erkrankt und braucht dringend medizinische Behandlung, die es in Eritrea nicht gibt. Aus diesem Grund reiste er in den Sudan, um die nötigen Medikamente aufzutreiben, geriet jedoch ins Gefängnis. Als er nach mehreren Monaten zusammen mit seinem Freund und mit der Hilfe dessen Vaters wieder aus dem Gefängnis kam wütete bereits der Bürgerkrieg im Sudan.
Sie bezahlten 300 Dollar an Schlepper, die sie in einem kleinen Auto bis zur äthiopischen Grenze bringen. Filmon erzählt mir, wie sie mit dem kleinen Auto durch Konfliktzonen gefahren sind. Die Fahrer tauschten sich regelmässig untereinander über die Lage aus, manchmal mussten sie in einem Dorf ausharren, bis Kämpfe weiter vorne auf ihrem Weg vorbei waren. Es gab immer wieder Checkpoints, wo man stundenlang warten musste, um durchgelassen zu werden. Wertsachen wie Smartphones, Uhren oder Schmuck blieben auf der Strecke.
Als sie dann endlich bei der sudanesisch-äthiopischen Grenze ankamen, hatten sie kein Visum und strandeten mit weiteren Geflüchteten an einem Camp bei Metema, einer Stadt auf der äthiopischen Seite der Grenze. Zwei Monate mussten sie warten, bis Filmon schliesslich illegal ein Visum für 940 Dollar kaufen konnte und es damit bis Addis Abeba schaffte, von wo er in die Schweiz zurückflog.

Ich habe ihn gefragt, ob es etwas gibt, dass ihm im Moment Hoffnung gibt. Die Gespräche mit seinem Anwalt stimmen ihn positiv, auch die Erstbefragung ist einigermassen gut gelaufen. Er wiederholt oft, dass die Betreuer*innen sehr hilfsbereit sind und auch gerne Fragen beantworten, wenn sie können. Dennoch spüre ich viel Frust bei Filmon. Ein Satz hallt in meinen Gedanken lange nach: Er sei in die Schweiz gekommen, um Schutz zu suchen vor Haft und Militär und nun fühle er sich auch hier wie ein Tier im Käfig.
Dieser Käfig mag grösser und zeitlich begrenzt sein, dennoch ist es einer. Es ist ein Käfig aus Glas und Gesetzen, Käfig und Hafen zugleich. Nach knapp einer Stunde beenden wir das Gespräch, Filmon geht vom fensterlosen Zimmer zurück in den fensterlosen Schlafsaal, ich verlasse das Asylzentrum durch die nicht beschilderte Milchglastür. Ich betrete den Gang, der zur Swiss Lounge führt, gehe aber in die entgegengesetzte Richtung, am Transit Hotel vorbei, durch die gläserne Sicherheitsschleuse, vorbei an der Passkontrolle, durch die Gepäckausgabe, durch die Ankunftshalle, hinaus in den Abend. Ich rieche Herbst und Zigarettenrauch. Aus dem Augenwinkel sehe ich das Schweizerkreuz auf der Heckflosse einer Swiss Maschine im Licht der Abendsonne. Als letztes habe ich Filmon nach seinen Hoffnungen und Plänen für die Zukunft gefragt, seine kurze Antwort lautet: Deutschkurs und Ausbildung.
Contributor NICOLA SCHÄFER
Bereit zur Landung
Teil 2: Gespräche über Flucht und Ankunft mit Mitarbeiter*innen des Flughafens Zürich.
Vor zwei Jahren habe ich angefangen für ein Gastronomieunternehmen, das mehrere Cafés und Fast Food Lokale am Flughafen Zürich betreibt, zu arbeiten. Meine Motivation war ganz einfach, ich brauchte Geld und in diesem Moment war dies die einzige Bewerbung, auf die ich eine Rückmeldung bekam. In diesen zwei Jahren hatte ich Zeit, um das vielfältige Team kennenzulernen. Mittlerweile kenne ich auch ein paar Leute vom Reinigungspersonal und der Swiss, die regelmässig für einen Kaffee vorbeikommen. Victoria arbeitet seit Anfang dieses Sommers am Flughafen. Wir sehen uns oft, wenn ich an den Wochenenden arbeite, und plaudern ab und zu, wenn es die Kundschaft erlaubt.
Zaher kenne ich mittlerweile schon ein Jahr. Er studiert Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich und arbeitet, wie ich, immer am Wochenende. Ab und zu, wenn es eine ruhige Spätschicht ist, erzählt er mir auf seine sehr gefasste Art von der Situation in Afghanistan und seiner persönlichen Situation in der Schweiz.
Es hat mich sehr bewegt mit Victoria und Zaher nun länger über ihre Geschichten zu sprechen. Ich merke, dass der Flughafen für viele, die dort arbeiten, auch eine Art globale Gemeinschaft ist. Der Flughafen ist weit weg von einem globalisierten Utopia, aber es gibt ein Gefühl von Zugehörigkeit inmitten einer Schweiz, die immer noch mit den Begriffen Einwanderungsland und postmigrantische Gesellschaft hadert.
VICTORIA
How long have you been living here?
I came here in 2006. I was living in Nigeria before, there I got married with my husband, who has been here since the 1990s. He came home and we got married.
Initially I didn’t want to come here, because of the ‘Sprache’. And, apart from that, my family lives in the USA, so I was hoping to go either to the US or Canada, but I had to choose between my career and my family. At the end my family took over and I had to follow my husband.

And your whole family lives in the US?
My brother and his family and my sister and her family. Only my mom and my younger sister are in Nigeria, but my mom does shuffle between America and Nigeria, my sister works all over so she travels a lot. But now I’m here together with my children and my husband.
How many children do you have?
I have three children, two sons and a daughter, a granddaughter and I’m expecting a second grandchild from my oldest, who is already married. The second one is not married and he’s still with me at home, and the third one, the girl, is getting married next year.
May I ask how old are you?
I’m 54. Not jet, in two months I’ll be 54.
You have already answered part of it, but I was going to ask what your reasons were to come to Switzerland?
Yeah, because of my husband. You know, I studied actuarial science, I think people call it mathematics of insurance here. I wanted to push my career, and I had a better opportunity either in the UK or Canada, but my husband doesn’t like it anywhere else apart from here. He only likes to go there for holidays, but here is like a home to him, because he also has his family here.
In 2005 he told me I should come and try and see if I like it, so I came and said to myself, let’s see how the language goes. I went for a two-month intensive course at Migros Klubschule, after which I was able to speak a little and thought, okay, this is something I can do.
What does your husband do?
He works in a hotel as a porter, but he studied mass communication and initially was into journalism before he came here. I don’t know why he likes this job so much, he just started to do it. He says he because it means so much to him to meet so many people.
How was your life back in Nigeria?
It was good because I come from a family of teachers and professionals. My childhood was great, it was only within the family. We weren’t allowed to be with friends a lot, only with family members. I don’t know why my parents did it that way. I wasn’t really exposed to the outside world, but I was always dreaming to go out someday to explore the world. When I got to university, I was a little bit free and met some friends, people from other cultures.
Where did you go to university?
At University of Lagos, in Nigeria. From 1989 through 1994, because [from time to time] there were protests at [the university], then we had to stop, stay home, come back, you know.
Did you grow up in Lagos as well?
Initially we lived in Ogun State, just an hour drive from Lagos. There I started my primary education. Then we moved to Lagos, later we went back to Ogun State and back to Lagos, where I started my university education.

When I first came, I didn’t like the cold. But here people are so warm, the reception they give you, you feel more like home. Since I came, I’ve never had any problem with anybody or the police, I just do my own thing. It has been good all the way. I can always go home on holidays, so I don’t feel so much homesick.
Did you arrive here at this airport when you came to Switzerland?
Yes.
How did you experience your initial time here?
The very first month after I came here was a little bit difficult because of the language, because when I went to the stores to buy something I would ask them, do you speak English, and even though they could they’d tell you, no. Most of the times I had to go with the dictionary to the grocery store. I always wanted to buy ‘Kuhfleisch’, but I always saw ‘Kalb’, so I initially thought ‘Kalb’ was ‘Kuhfleisch’, but when I bought it the taste was different, so I wondered what ‘Kalbfleisch’ was. Things like that.
What was your first job here?
I worked in a hotel. Because when I was going to school, I looked for a job in an insurance company, but they told me I had to get to level C1 in German before I could apply. That’s a long way, one day I asked at the ‘Deutschkurs’ if there is something where I don’t have to speak so much to people. Somebody said that I could work in a hotel, so I started with that, but the work there was so strenuous, so I had to stop and look for another job, this time at a Coffeeshop.
For how long did you work there?
For almost 7 years. But they wanted to close in June, so I had to look for another job at a coffee shop, because I’ve grown to love it. Then I found NZZ Café online and applied. It has been great all the way.
Were there any other reasons why you chose to work at the airport?
Yeah, at the airport you get to meet people from all walks of life. I’ve learnt a lot from a lot of people. I don’t feel like my job is just selling to people, some of them not only come to you because they want a coffee, but because they also need someone to talk to. When I see some of the customers moody, I sometimes go to them. Then I’m there to talk to them and ease their mood. Sometimes it gives you a feeling of fulfilment.
Have you ever thought of working in insurance again?
Yeah, I still think about it. I’m telling my daughter that when she gets married and she’s out of the house, then maybe I’ll pick up my career again. Because I really love it and I have friends back at home that have their own insurance company. First, they wanted to have me as a partner, thinking I was still in that line, because most of them don’t know what I do here. I said to them that maybe at some time in the future.
How is it to rise children between two cultures?
It’s ok with them because they were young when they came here. Now here’s like home. I even need to call my second son to come back home during the Holidays, because he has most of his friends here. Sometimes his friends also want to go with him to Nigeria, but because of their security I always tell him, you can’t do that for now. Because there are a lot of problems in Nigeria with kidnappers. When they do kidnap their own, how much more people from another country? I don’t want to risk that.
When did you feel for the first time you really had arrived here in Switzerland?
I think it took me like a year after I came here. Because initially I was really homesick, I only had my husband to talk to. I was always on my phone with my family back home and sometimes I wouldn’t be able to sleep at night. I just was by the window side crying. My husband always told me if I don’t like it, I could go back, but after the first two months of school I started to relax. But I would say that after a year I started feeling more like home. That was the first time I was back home and came back and said, okay, I can do this.
What do you do in your free time?
I sow. I know how to sow clothes. When I first came here, four or five years after, I went to a one-year course at Fachschule Viventa to learn how to sow the jackets and jeans and all of that. Back at home I just learned how to do it as a hobby but coming here I really wanted to have the knowledge, so I have something to do. Sometimes I sow, sometimes I cook. I always plan my free time ahead, so I know what to do. Sometimes, when I have two days free, the first day I wash all my clothes and cook. The second one is just to relax. I sow for my children, and I sow for myself. Sometimes, when I have time, I sow for friends if they need a Boubou or something.
What is your relationship to the airport? Especially since you work here, is there anything special for you?
The Circle. I found a spot there where you can sit and relax, because sometimes when I finish work, I need to look around to know more about this airport. I’ve been at the Circle two or three times, you take this ‘Bahn’ up the hill, then there is a place where you can relax and watch the sky.
Sometimes when I finish work, I also just walk around, to know how big this airport is. I only knew this part (Gates D) before. Sometimes when I’m free and don’t plan to wash and feel like I don’t have much to do I just walk about. Sometimes I go to Zürich too and walk around to see how the city is.
There is this ‘Stadthaus’ in Zürich. They have a place I’ve found out two days ago where you can sit down and relax, they have seats all over and you can sit down and just relax. You know, I was sitting there, and I just slept off. I walk a lot just sightseeing. I like it.

ZAHER
Wie lange lebst du schon in der Schweiz?
Schon mehr als sieben Jahre. Seit Januar 2016 bin ich in der Schweiz.
Welche Gründe haben dich dazu bewegt, in die Schweiz zu kommen?
Der Hauptgrund war etwas Privates, da ich selbst ziemlich kritisch war in der Gesellschaft, aber auch unter meinen Mitstudierenden. Ich habe Religionsphilosophie und Geschichte studiert und musste dafür verschiedene religiöse Bücher lesen. Darunter welche vom Hinduismus und Buddhismus, aber auch vom Judentum und Christentum. Dafür musste ich eine Bibel kaufen, und schon nur eine Bibel zu Hause haben, ist in Afghanistan ziemlich gefährlich.
Der zweite Grund war, dass ich zu einer ethnischen Minderheit gehöre, die Hazara. Die Hazara sind mehrheitlich schiitische Muslime und sehen im Gesicht anders aus als andere Menschen in Afghanistan, sie sehen eher ostasiatisch aus. Diese Sachen unterscheiden sie von anderen ethnischen Gruppen in Afghanistan. An der Uni haben die Professoren mir mehrmals gesagt, entweder du verlässt die Uni schon jetzt oder du studierst noch weiter, aber wir lassen dich nicht die Prüfungen bestehen und dein Studium abschliessen. Ich habe dann zwei Semester studiert, sah aber irgendwann keine Perspektive und keine gute Zukunft mehr für mich in Afghanistan und habe 2012 mein Studium abgebrochen und entschied mich zu fliehen.
Daraufhin bin ich in den Iran gegangen, wo ich ein neues Leben aufbauen wollte. Leider werden aber die Menschen aus Afghanistan im Iran sehr stark diskriminiert. Sie dürfen nicht die Uni besuchen und haben ein sehr schweres Leben. Sie werden überall beschimpft und verprügelt. Vor allem die Hazara, weil sie anders aussehen und einfacher als Afghanen zu bezeichnen sind als andere Menschen. Es ist vielleicht etwas rassistisch, das so auszudrücken, aber es ist die Realität, die man dort sieht.
2014 ging ich zurück nach Afghanistan und wollte eigentlich auch bleiben, weil in diesem Jahr die Präsidentenwahl war, und ich grosse Hoffnungen hatte, dass sich die Situation verbessern würde. Leider haben sich aber 2014 auch die NATO-Truppen aus allen Provinzen zurückgezogen, was die Stabilität verschlimmert und die Taliban Terroristen gestärkt hat. Ich konnte nicht einmal von Kabul zu meinen Eltern in eine andere Provinz gehen. Darum bin ich Ende 2015 nach Europa geflüchtet, das war im Dezember, glaube ich, denn ich bin im Januar hier angekommen. Ich war 42 Tage unterwegs.
Bist du in den Iran, auch mit der Absicht dort zu studieren?
Studium und ein normales Leben, aber als ich dort ankam, habe ich keine Möglichkeit gesehen, um zu studieren. Dann habe ich gearbeitet, zuerst drei Monate in Teheran für eine Verpackungs-Firma und danach im Süden des Landes auf der Baustelle. Die Arbeit, die ich hatte, war nicht so gut für mich, denn ich musste nachts. Tagsüber war es schwierig, weil du immer der Gefahr ausgesetzt warst, verhaftet zu werden.
Was war das Risiko, verhaftet zu werden? Einfach weil du als Afghane erkannt wurdest?
Genau. Wenn sie zum Beispiel diese Woche Menschen aus Afghanistan verhaften dürfen, dann werden sie dich auch verhaften, wenn du einen Pass und ein Visum hast.
Über welchen Weg bist du in die Schweiz gekommen?
Das ist natürlich der illegale Weg. Leider ist es kaum möglich, legal Asyl von dort aus zu beantragen. Ich bin durch Pakistan in den Iran gegangen, dann über die Türkei nach Griechenland, und über die Balkanländer Mazedonien, Serbien, Slowenien, Slowakei, Österreich bin ich bis nach Deutschland gekommen. Weil ich aber in Deutschland nicht bleiben wollte, musste ich zurück nach Österreich, und dann bin ich in die Schweiz gekommen.
Wo bist du in die Schweiz eingereist?
Bei Buchs, in St. Gallen.
Hast du dort auch direkt Asyl beantragt?
Eigentlich wollte ich nicht Asyl beantragen in der Schweiz, weil meine Idee war, dass ich nach Luxemburg komme. Unterwegs habe ich einen ehemaligen Mitschüler wiedergetroffen, mit dem wir uns sieben oder acht Jahre nicht gesehen hatten. Er hat mir gesagt, dass er Leute kennt in Luxemburg. Dort haben die Hazara bessere Chancen zu bleiben, denn ihre Probleme werden anerkannt. Ich wollte dorthin, aber als die Polizei uns kontrolliert hat, und wir aussteigen mussten, und ich keinen Pass hatte, musste ich Fingerabdrücke geben. Ich habe gedacht, dass das schon ein Asylantrag war. Obwohl wir erst nach zwei oder drei Tagen nach Kreuzlingen kamen, wo wir nochmals die Fingerabdrücke und ein kleines Interview geben mussten. Am Ende des Interviews, hat die Person mir gesagt, jetzt haben Sie hier Asyl beantragt, jetzt dürfen Sie nicht mehr das Land verlassen. Wenn ich das vorher gewusst hätte, vielleicht wäre ich weitergegangen, aber ich wusste es nicht genau.
Und hast du jetzt vor, in der Schweiz zu bleiben?
Ja, natürlich. Das Problem ist, wenn du geflüchtet bist, hast du ein unstabiles Leben und möchtest immer Stabilität in deinem Leben, auch im Alltag. Deshalb ist es nicht so einfach, woanders wieder von null zu beginnen. Als ich hier ankam, musste ich sehr vieles von neuem beginnen. Ich habe beispielsweise zwei Semester in Afghanistan studiert, aber hier wurde mein Studium nicht anerkannt, mein Schulabschluss auch nicht. Ich musste noch eine Art Ergänzungsprüfung hier ablegen, damit mein Schulabschluss gleich wie die Matura anerkannt wird. Das hat sehr viel Zeit und Energie und viel Geld gekostet. Jetzt habe ich sehr viele Freunde hier, arbeite hier und habe auch keine Absicht, in der Zukunft das Land zu verlassen, solange ich hier bleiben darf.

Warst du wieder in Afghanistan, seit du hier lebst?
Nein, noch nicht. Ich plane aber die nächste Woche dort hinzufliegen. Ich hoffe, dass es klappt, weil es keine direkten Verbindungen nach Afghanistan gibt, muss ich über den Iran fliegen. Ich weiss aber nicht, ob es gehen wird wegen dem Krieg zwischen Israel und Palästina. Ich hoffe, dass der Iran nicht involviert ist, sonst wird es nicht möglich sein.
Als du hier angekommen bist, was waren deine ersten Eindrücke von der Schweiz?
In den 42 Tagen, die ich unterwegs war, hatten wir sehr wenig zum Essen, keinen Ort zum Schlafen, keine Kleider, nichts. Das war eine schwierige, sehr schwierige Zeit. In dem Durchgangszentrum an der Grenze hatten wir genug Essen, genug Kleider und auch sehr liebe Menschen, die dort uns begleitet haben. Ich hatte eine sehr gute Vorstellung, dass vielleicht alles besser wird. Wir aber leider nur drei, vier Tage dort, und danach mussten wir nach Kreuzlingen, wo wir in einem Asylzentrum für etwa 400 Personen waren. Wir mussten in einem Bunker schlafen, und tagsüber sind wir in ein Gebäude gekommen, wo es keine Stühle und keinen Teppich gab zum Sitzen.
Nach Kreuzlingen wurde ich mit einer Gruppe nach Solgen geschickt. Dort waren wir auch in einem Bunker. Ich glaube wir waren 13 Personen in einem Zimmer mit dreistöckigen Betten. Nach 20 Tagen musste ich auch schon weiter nach Thun im Kanton Bern gehen. Dort waren wir in einer grossen Halle, die zum Militär gehört. Wir waren wieder 400 bis 600 Personen aus ganz verschiedenen Ländern. Es war keine einfache Zeit. Dann habe ich mit der Zeit gemerkt, okay, vielleicht haben wir hier Sicherheit, aber bis wir ein normales Leben haben können, dauert es schon eine Weile.
Es hat insgesamt zweieinhalb Jahren gedauert, bis ich den Entscheid über meinen Asylantrag hatte. Ich wurde vorläufig aufgenommen, was heisst, dass ich nicht als Flüchtling anerkannt bin, trotzdem aber hierbleiben, arbeiten und studieren darf. Vorläufig Aufgenommene müssen ihren Ausweis jedes Jahr erneuern, was es schwierig macht, einen Job zu finden. Mit der Zeit musste ich die Realität akzeptieren und mich daran anpassen, dass es gute Seiten hier in der Schweiz gibt. Ich werde zum Beispiel nicht auf Grund meines Gesichts oder meiner Ethnie diskriminiert. Ich bin hier in der Schweiz in Sicherheit, aber trotzdem gibt es gewisse Probleme, die uns stark drücken. Ein Beispiel ist, dass ich lange nicht reisen durfte. Ich habe meine Hochzeit im Sommer geplant. Dafür hatte ich schon im letzten Jahr, im November, einen Antrag gestellt, um reisen zu dürfen, und das wurde mehrmals abgelehnt, obwohl die Regierung wusste, dass die afghanische Botschaft in Genf nicht mehr funktioniert.
Wir haben auch keine Familie hier, durch welche wir unterstützt werden könnten, und sind meistens auf uns allein gestellt. Ich habe mich entschieden zu studieren, und jetzt muss ich doppelt so viele Gebühren bezahlen wie normale Studierende in der Schweiz. Sie müssen 700 bezahlen. Ich muss 1’400 bezahlen, weil ich Ausländer bin. Das habe ich immer bezahlt und werde es auch weiterhin bezahlen, aber mit einem schlechten Gewissen. Ich bin auch ein Teil der Gesellschaft. Ich habe weniger Unterstützung. Ich arbeite hier, ich bezahle Steuern und verhalte mich wie alle anderen Menschen. Warum muss ich mehr bezahlen als die Schweizer Studierenden? Da fühle ich mich schon benachteiligt, obwohl ich selbst an der Uni auch einen Job habe.
Bist du immer noch vorläufig aufgenommen? Hat sich das geändert?
Nach fünf Jahren durfte ich zu einer normalen Bewilligung wechseln. Das habe ich letztes Jahr gemacht, aber auch da hatte ich ein grosses Problem. Ich hatte alle Dokumente eingereicht, sie haben aber trotzdem immer wieder das gleiche Dokument nochmals verlangt. Ich habe sogar einmal angerufen, die Dokumente lagen vor mir zu Hause. Es war während der Pandemie. Ich habe gesagt, dass ich alles eingereicht habe, die Person am Telefon wollte mir jedoch nicht glauben, bis ich sie gebeten habe, die Dokumente einmal zu öffnen. Als die Person dies tat, hat sie einfach gelacht und sich entschuldigt. Dies hatte bereits drei oder vier Monate gedauert, und obwohl die Dokumente vollständig waren, hat die Person, mit der ich telefoniert habe, noch ein weiteres Dokument von mir verlangt. Ein Dokument, das nie in einem Schreiben von ihnen erwähnt war.
In dem Fall habe ich mich wirklich diskriminiert und stark unter Druck gefühlt, und danach hatte ich etwa drei, vier Monaten keine Lust mehr, dem nachzurennen, um meinen Ausweis zu wechseln. Ich wollte allgemein aufgeben und möglichst das Land verlassen, aber irgendwann habe ich gedacht, ich probiere es nochmals. Dann bin ich mit all den Dokumenten vorbeigegangen, und dann konnte ich das Problem mit ihnen besprechen. Nach einer Stunde haben sie zugesagt, und ich konnte einen B Status erhalten. Der ist auch immer nur für ein Jahr gültig, aber zumindest steht da nicht vorläufige Aufnahme, sondern Erwerbstätigkeitsbewilligung.
Du hast gesagt, dein Asylverfahren hat zwei Jahre gedauert. Wo warst du? Was hast du gemacht während diesen zwei Jahren?
In diesen zwei Jahren habe ich selbstständig Deutsch gelernt. Die Gemeinde hat damals nicht bewilligt, dass ich einen Deutschkurs besuche. Deshalb habe ich gratis Deutschkurse an der Autonomen Schule und in Kirchen besucht. Ich konnte nichts anderes machen. Die Leute, die wir in dieser Situation waren, waren in der Nacht immer wach und haben tagsüber geschlafen, weil wir nichts machen konnten. Insgesamt habe ich bis heute vielleicht nur zwei Monate einen Deutschkurs besucht, welcher von der Gemeinde finanziert wurde, um mich auf die C1 Prüfung vorzubereiten. Ich muss vielleicht sagen, dass nicht bei allen Gemeinden das gleiche geschieht. Ich kenne Leute, die in einer anderen Gemeinde waren, und dort hatten sie schon Deutschkurse, in meiner Gemeinde waren sie da sehr streng.
Was macht das mit dir, wenn du so oft hin und her geschoben wirst?
Das ist wieder so eine Unstabilität. Du hoffst, niemals irgendwohin versetzt zu werden. Ich weiss jetzt nicht, wie es im Moment aussieht, aber damals war es etwas, das überall passiert ist. Du warst immer unsicher, was als nächstes kommt, wo du hingehst, mit welchen Leuten du wohnen wirst, in welcher Wohnung oder in welchem Format du leben wirst. In Buchs waren wir in einer Halle, aber sehr gut organisiert. In Solgen und Kreuzlingen schliefen wir in einem Bunker. In Thun waren wir in einer grossen Halle. In Embrach waren wir in Container, dort war es noch gut organisiert, aber in Oberengstringen war es dann sehr schlecht und schmutzig. Dort war ich etwa vier Jahre.
Hast du viel Kontakt mit anderen geflüchteten Menschen?
Ja, seit Juli 2021 arbeite ich auch an einem Projekt der Universität, «START! Studium – Integrationsvorkurs an der UZH», wo ich fast nur mit geflüchteten Personen in Kontakt bin und mit ihnen arbeite. Wir organisieren Deutsch- und Englischkurse, Informationsanlässe und Computer Kurse für geflüchtete Menschen, die an der UZH studieren möchten.
Wie bist du dann zum Job im Flughafen gekommen?
Bei uns funktioniert es meistens über die Vernetzung. Ich kenne jemanden, der aus Eritrea kommt, der auch geflüchtet ist. 2018 haben wir uns beide auf diese Aufnahmeprüfung vorbereitet. Er hat sich auf die Aufnahmeprüfung an der ZHAW vorbereitet, und ich mich für die Uni. Wir haben uns öfter gesehen. Kennengelernt haben wir uns 2017 an der Uni, als wir als Gaststudierende Vorlesungen besuchten. Letztes Jahr haben wir uns einmal auf einen Kaffee getroffen und ich habe gesagt, dass ich einen Job suche. Er hat damals im NZZ-Café am Flughafen gearbeitet, hatte aber für sich einen anderen Job bei der Passkontrolle gefunden, und hat mir gesagt, ich könne doch fragen, ob ich dort arbeiten kann.
Wie ist bis jetzt deine Erfahrung am Flughafen?
Es ist schön, aber der Alltag der Arbeit ist sehr divers, wie wir ihn alle hier erleben. An manchen Tagen ist die Stimmung immer gut, aber manchmal hat man irgendwie gestresste Kunden, Kundinnen oder Mitarbeitende. Aber es ist gut, eine gute Erfahrung für mich. Für mich war es am Anfang schwierig, denn wenn ich den Leuten einen guten Flug wünsche, sagen sie oft gleichfalls. Es war lange so ein Witz, da ich ja nicht fliegen darf. Ich habe keinen Pass, aber ich hoffe jetzt, dass es in der Zukunft möglich sein wird.
Was sind deine Hoffnungen und deine Pläne für die Zukunft?
Meine Hoffnung ist persönlich, dass ich mein Studium abschliessen kann und auch hier in der Schweiz bleiben darf. Aber generell hoffe ich, dass die Verantwortungsträger und Verantwortungsträgerinnen, vor allem beim Migrationsamt und auch beim Staatssekretariat für Migration alles so planen können, dass die Geflüchteten, die hier eine Chance haben zu bleiben, zumindest grossenteils gleichberechtigt sind wie alle anderen Menschen, die hier wohnen. Als ich den Bescheid für die vorläufige Aufnahme erhalten hatte, wollte ich eine Beschwerde einreichen. Mein Anwalt hat damals gesagt, dass 90 Prozent der vorläufig Aufgenommenen längerfristig in der Schweiz bleiben können. Wenn die Behörden das wissen, dass die meisten längerfristig in der Schweiz bleiben können, dann sollten sie darüber nachdenken, was es in einer Person auslöst, vorläufig aufgenommen zu sein. Das ist eine Hoffnung. Genau.

«Ich mag es, die Realität und die Schmerzen von Menschen aus meinem Land allen zu erzählen, die das nicht wissen, aber es wissen möchten, obwohl das eventuell gewisse Emotionen auslöst, jedoch möchte ich gerne das erzählen und die Person zu sein, die ich bin, und die Dinge zu erzählen und zu erinnern, was ich erlebt habe.»
Contributor NICOLA SCHÄFER
When seen differently
Del Piero – für viele Menschen der Nachname eines pensionierten Fussballspielers. Für mich fast schon ein Synonym meiner Jugend. Juventus Turin – für die meisten Menschen ein Fussballverein, war für mich über lange Zeit das intensivste Gefühl von Zugehörigkeit.
Als Kind italienischer Einwanderer habe ich bereits im zarten Alter von fünf Jahren erlebt, was es bedeutet, in meinem eigenen Geburtsland als Fremder betrachtet zu werden. Das «Weidle», ein wunderbar vielfältiges Viertel in der östlichen Schweizer Äbtestadt Wil, war mein Zuhause, in dem ich aufwuchs. In Wil, das im Vergleich zu anderen Schweizer Städte einen signifikanten Anteil an ausländischen Bewohner:innen hat, waren nur wenige schweizerische Kinder in unserem Quartier zu finden, und ich konnte sie an einer Hand abzählen: Simon, Marc und Sara. Am Rande des Viertels befand sich ein charmantes, offenes Fussballfeld, auf dem sich viele Kinder und Jugendliche regelmässig trafen. Aus dieser Zeit verbinde ich viele schöne Erinnerungen. Hier eine persönliche Geschichte.
An einem Wochentag nach der Schule schlüpfe ich in mein schwarz-weiss gestreiftes Fussballtrikot. Auf dem Rücken prangt stolz die Trikotnummer 10 und der Name «Del Piero». Am Eingang unseres Wohnblocks, treffe ich mich mit meinem Freund Gzim. Gemeinsam durchqueren wir die Wohnblockreihen, um das Fussballfeld zu erreichen. Ein Hügel auf der Wiese trennt das Spielfeld von den letzten beiden Wohnblocks des Weidles. Wäre dieser Hügel nicht, wären die Gärten der Erdgeschosswohnungen direkt mit dem grossen Feld verbunden. Nach einem fünfminütigen Spaziergang erreichen wir das Spielfeld und stossen auf Imer und Simon, die bereits auf dem Platz stehen. Es dauert nicht lange, bis unsere Gruppe grösser wird. Wir teilen uns in zwei Teams auf und beginnen ein Spiel. Immer mehr Kinder schliessen sich nach und nach an. Beinahe alle tragen Fussballtrikots, oft aus ihrer Heimatnation oder einem Verein, der mit ihrer familiären Herkunft verbunden ist. Meine Lieblingsposition ist im Angriff, genau wie die von Del Piero. Natürlich versuchen wir, unsere Idole auf dem Spielfeld nachzuahmen. Das sollte der Anfang einer langen Geschichte werden, die unsere Identität prägt. Denn selbst wenn wir es noch nicht vollständig erkennen, wird das Thema weit über den Sport hinaus reichen. Als die Kirchenglocke 18:00 Uhr schlägt, verabschieden sich Simon und Marc. Sie müssen nach Hause, immer zur gleichen Zeit, denn das ist die Uhrzeit, zu der in traditionellen Schweizer Familien das Abendessen serviert wird. Bei mir und meinen Freunden mit Migrationsgeschichte hingegen wird das Abendessen in der Regel erst zubereitet, wenn die älteren Geschwister gekocht haben oder die Eltern von der Spätschicht nach Hause kommen. Manchmal ist es 20:00 Uhr, manchmal sogar 21:00 Uhr. Solange uns unsere Eltern nicht am Spielfeld abholen oder bis nur noch einer von uns übrigbleibt, wird Fussball gespielt. Dieses Feld ist wie eine zweite Familie für uns. Als ich versuche, ein Dribbling im Stil von Del Piero gegen den Gegenspieler zu machen und auf das Tor zu schiessen, treffe ich den Ball genau neben das Tor, sodass er über den Hügel in den Garten einer der Parterre-Wohnungen fliegt. Ein lauter Knall gegen das Glas war zu hören. Zu zweit klettern wir den Hügel hinauf und sehen ein älteres Paar im Garten. Die Frau hält unseren Ball in der Hand und blickt uns finster an. Kaum stehen wir oben auf dem Hügel, hören wir sie ausrufen: «Es ist keine Zeit mehr für euch Kinder, um draussen Fussball zu spielen. Habt ihr etwa kein Zuhause? Und wo sind eure Eltern? Es ist unverschämt zu dieser Zeit. Ihr Ausländer geht mir sowieso schon lange auf die Nerven.» Mit dem Ball in der Hand öffnen sie ihre Balkontür und nehmen ihn mit hinein. Wir sind eingeschüchtert und verstehen nicht genau, was wir ihnen angetan hatten und warum sie so auf uns losgingen. Diese Situation wird sich in Zukunft noch einige Male wiederholen und uns klar machen, dass der Grund dafür die Herkunft unserer Eltern ist.
Die Jahre verstrichen, und wir wurden alle älter. Für Kinder wie mich entwickelte sich der Fussballplatz zu einem Ort, an dem man einfach man selbst sein konnte: laut, motiviert und voller Energie. Mit der Zeit identifizierten wir uns nicht nur auf dem Spielfeld mit Fussballspielern. Mit zunehmendem Alter erkannten wir, dass viele dieser Stars im Fernsehen eine ähnliche Geschichte wie unsere hatten. Nicht nur in der Schweizer Nationalmannschaft gibt es Spieler mit Migrationsgeschichte. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie Zlatan Ibrahimović, der ein schwedischer Nationalspieler ist, aber serbische Wurzeln hat und aus einer Arbeiterfamilie stammt. Ein Trikot mit dem Namen eines solchen Spielers zu tragen, bedeutete weit mehr als nur Sympathie für ihn oder seinen Verein. Es stand für Hoffnung in ausweglosen Situationen, für das Gefühl des Verstanden Werdens, ohne viele Worte zu verlieren. Es bedeutete, dass man in einer Gesellschaft dazugehörte, die oft dazu neigte, Menschen aufgrund ihrer Lebensumstände auszuschliessen. Umso frustrierender war es, als es hiess, dass das Tragen von Sportbekleidung in der Schule unangemessen sei und nicht den guten Sitten des Landes entspräche. Die Botschaft war eindeutig: Wir waren anders, nicht wie Severin oder Philipp, und sollten uns besser integrieren. Dabei waren wir die unschuldigen Bedürftigen, die in der Schweiz kein Zuhause fanden. Empathie schien Mangelware zu sein.
Es ist eine Herausforderung, diese Emotionen in Worte zu fassen. Schon früh erkannte ich, dass Worte nicht die einzige Art und Weise sind, um Botschaften zu übermitteln. Die Blicke, die einem zugeworfen werden, wenn man nicht in das vorherrschende Bild passt, sind oft lauter als jedes ausgesprochene Wort. Mit der Zeit habe ich gelernt, die subtilen Hinweise in Räumen zu lesen. Dennoch bleibt die belastende Wahrnehmung alltäglicher Situationen, die schwer greifbar sind, schwer zu beschreiben. Vorurteile und Stereotypen lassen mich täglich spüren, wie Äusseres oder die Wahl der Kleidung, wie beispielsweise das Tragen eines Fussballtrikots in bestimmten Kontexten, zu einer Schubladisierung führen. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Wahrnehmung ändert, je nachdem, ob man ein Fussballtrikot mit Jogginghosen und einer Gucci Seitentasche kombiniert oder mit einer Jeans aus dem Brockenhaus und einem Foulard. Der eine Stil wird belächelt, beinahe ausgelacht, während der andere als modisch angesehen wird.
Ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass Gottfried Keller, der Autor der Novelle «Kleider machen Leute», ein Schweizer war. Sicher ist, seine Novelle offenbart selbst 150 Jahre nach ihrem Erscheinen, immer noch etwas über die Mentalität der schweizerischen Gesellschaft.
Der Autor
Davide aka Korona L’avadia is a kid of immigrants creating creative concepts. He lives in Zurich.
︎ - koronalavadia
Videoproject

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Contributor DAVIDE IOZZO